Mit dem NDR Elbphilharmonie Orchester auf Asien-Tournee

Asien Japan Tournee NDR Elbphilharmonie Orchester

Von Stefan Grund
Alan Gilbert eröffnet die Probe in der Kyoto Concert Hall mit zwei knappen Sätzen: „Vielen Dank für die beiden Konzerte. Das hat großen Spaß gemacht!“ Das NDR Elbphilharmonie Orchester antwortet mit Applaus. Auch den weitgereisten Musikern haben die ersten beiden gelungenen Konzerte der Asien-Tour in der nahezu ausverkauften Shanghai Symphony Hall gefallen, bei denen es zwei seiner Konzertprogramme aus dem Kernrepertoire erstmals unter dem neuen Chefdirigenten aufführte. Richard Wagners Lohengrin-Vorspiel machte den Auftakt am ersten Abend, gefolgt vom ergreifenden Adagio aus Gustav Mahlers 10. Sinfonie und der wuchtigen Sinfonie Nr. 4 von Johannes Brahms. Einen Abend später erklang das Klavierkonzert Nr. 4 von Ludwig van Beethoven, gemeinsam mit Rudolf Buchbinder am Steinway, der für die verletzte Hélène Grimaud einsprang. Nach der Pause beschloss Anton Bruckners 7. Sinfonie den Abend.

Asien Tournee Alan Gilbert NDR Elbphilharmonie Orchester

In Kyoto soll nun mehr von den Schätzen gehoben werden, die laut Gilbert im „großen Potenzial“ dieses Orchesters stecken. Die Asien-Tournee, deren Programm von der Wiener Klassik bis zum Impressionismus (mit dem Klavierkonzert G-Dur von Maurice Ravel) reichte, war die erste intensive Probenphase des designierten Chefdirigenten mit seinem künftigen Ensemble. Gilbert sprang für Thomas Hengelbrock ein, der sein Amt ein Jahr früher als geplant niederlegte. Er habe das Gefühl gehabt, er müsse die Tour retten und wollte die Gelegenheit für einen ersten intensiven Kontakt zu den Musikern in der neuen Funktion nutzen, so der Amerikaner. Der Plan ging auf, nach den umjubelten Auftritten in Japan fiebert das Orchester jetzt dem Saisonauftakt 2019 in Hamburg entgegen. Dann wird Alan Gilbert, der zuletzt die New Yorker Philharmoniker acht Jahre lang bis 2017 erfolgreich leitete, als Chefdirigent in der Elbphilharmonie starten. Erst dann wird der Familienmensch, der gerade erst mit seiner Frau und seinen drei Kindern nach Stockholm gezogen ist, wieder regelmäßig an der Elbe arbeiten und zum NDR Elbphilharmonie Orchester zurückkehren, das er viele Jahre erfolgreich als Erster Gastdirigent begleitete und zu dem er nach eigenem Bekunden „von Anfang an eine besondere Beziehung“ hatte.

Diese besondere Nähe zwischen dem Mann mit dem Taktstock und den mehr als 80 Musikern wird in jeder Probe, in jedem Konzert der perfekt organisierten Tour schon heute spürbar. Der erste Auftritt in Japan mit Rudolf Buchbinder in der Kyoto Concert Hall, der das Beethovenkonzert lässig auswendig durchlebt und durchbebt, wird ein Triumph. Pianist, Dirigent und Orchester musizieren im gleichen Atem. Nach Buchbinders Zugabe einer Beethovensonate legt das Orchester im Anschluss an die letzte Sinfonie des Hamburgers einen spontan wundervoll modellierten Ungarischen Tanz Nr. 6 hin.

Auf diese spontane Reaktionsfähigkeit kommt es Gilbert an, der sagt: „Ich strebe eine sehr unmittelbare Art an, Musik zu machen, ein blitzschnelles Interagieren. Vielleicht ist das neu, unterscheidet sich von der bisherigen Spielweise, aber ich fühle, dass es möglich ist mit diesem Orchester. Weil die Musiker es wollen, weil wir so viele wundervolle Solisten haben.“ NDR-Klangkörperchef Achim Dobschall bringt in diesem Zusammenhang den Effekt der Tournee auf den Punkt, wenn er sagt: „Durch die intensive Arbeit an den einzelnen Stücken und die häufige Wiederholung in den Konzerten erreicht das Orchester ein höheres Niveau als im normalen Konzertbetrieb. Damit setzt es einen neuen Standard, an dem es sich neu orientieren kann.“

Probe Asien Tournee NDR Elbphilharmonie Orchester

„Es haben alle mit viel Herz gespielt, so beseelt“, bilanziert Kontrabassist Jens Bomhardt den Auftritt. Bohmhardt genießt wie seine Kollegen den Neustart der Arbeit mit Gilbert. Der New Yorker ist künstlerisch gewachsen, seit er nach langen Jahren als Erster Gastdirigent des NDR Sinfonieorchesters eine mehrjährige künstlerische Pause in Hamburg einlegte. Seither hat er bei den New Yorker Philharmonikern und vielen anderen berühmten Orchestern gearbeitet, allein in Deutschland mit den Berliner Philharmoniker, dem Gewandhausorchester Leipzig und der Staatskapelle Dresden.

Bei der Tour in Japan macht sich diese Erfahrung in einem stufenartigen Qualitätszuwachs von jeder Probe zu jedem Konzert, von jedem Konzert zu jeder Probe bemerkbar. „Und da sagt man immer, Einspielproben seien nicht so wichtig“, schmunzelt Walter Hermann, seit 30 Jahren Klarinettist im Orchester, ein paar Tage später in Tokio, „aber das war wieder eine hochintelligente Einspielprobe heute. Alan Gilbert hat pädagogisch einiges weggelassen und an anderen Stellen grundsätzlich gearbeitet, an den Basics, damit wir merken, wohin er will. Und er weiß ganz genau, was er will.“ Geigerin Motomi Ishikawa kennt den neuen Chef seit 2006, als sie nach dem Musikstudium in Hamburg ihren ersten Profivertrag beim NDR unterzeichnete. „Er wird immer besser, immer besser“, schwärmt sie.

Die gute Stimmung bei den Proben, die großen Fortschritte und die Konzerterfolge, wie jener in der Suntory Hall in Tokio, sorgen auf der Tour für eine nahezu ausgelassene Stimmung. „Es ist wie auf einer Klassenfahrt“, meint Ishikawa, die natürlich in ihrer Heimat die Gelegenheit wahrnimmt, Freunde und Familie zu treffen. Viele andere nutzen die Gelegenheit, sich der japanischen Kultur weiter zu nähern und durchstreifen, wenn der Dienstplan es zulässt, das Land als Touristen, meist für einen halben Tag. Dann geht es wieder in den Bus, den Zug, das Flugzeug oder an die nachhaltige Arbeit, von der auch das Hamburger Publikum von der kommenden Saison an profitieren wird.